Strukturbiologie der „Selfish“ RNA
Oliver Weichenrieder
LINE-1- und Alu-RNAs können als "selbstsüchtige" oder "egoistische" RNAs betrachtet werden, die sich in ihren menschlichen "Wirten" in Form von Non-LTR-Retrotransposons vermehren. Non-LTR-Retrotransposons gehören zu den einfachsten Formen egoistischer RNA. Diese RNAs haben keine viralen Verwandten und integrieren sich in die Genome ihrer Wirte durch reverse Transkription am Ort der genomischen Integration, was sich grundlegend von den zytoplasmatischen Prozessen unterscheidet, die durch die langen terminalen Repeats der LTR-Retrotransposons und Retroviren vermittelt werden. Wir interessieren uns für die molekularen Details, die diesen Integrationsprozess steuern, und kombinieren mechanistische Analysen auf der Grundlage molekularer Strukturen mit zellbasierten Test der Retrotransposition.
Die LINE-1-RNA kodiert zwei Proteine (L1ORF1p und L1ORF2p), die für ihre Vermehrung unerlässlich sind, während sich die Alu-RNA als "Parasit" der LINE-1-RNA entwickelt hat, der die reverse Transkriptase L1ORF2p für seine eigene Vermehrung "entführt". Im Laufe der Zeit haben sich LINE-1- und Alu-RNAs an mehr als 1,5 Millionen Stellen in das Genom retro-kopiert, mit Folgen für die menschliche Evolution und Krankheitsbilder, die man gerade erst zu entschlüsseln lernt.
Unsere aktuellen Projekte zielen darauf ab, Licht in folgende Bereiche zu bringen
(i) die Struktur und Funktion des L1ORF1-Proteins bei der LINE-1-Retrotransposition
(ii) den Mechanismus der reversen Transkription am Ort der genomischen Integration durch L1ORF2p
(iii) die strukturellen Merkmale der Alu-RNA, die für die Nutzung der LINE-1-Retrotranspositionsmaschinerie erforderlich sind
Langfristig streben wir ein allgemeineres Bild der "molekularen Ökologie" egoistischer RNAs und ihrer molekularen Wechselwirkungen mit den jeweiligen Wirten an, da diese die evolutionäre Innovation in vielen Bereichen der Biologie weiter vorantreiben.