Integrative Evolutionsbiologie - Ralf J. Sommer
Wir verfolgen einen integrativen Ansatz in der Evolutionsbiologie und verbinden dabei Evo-Devo mit Populationsgenetik und Evolutionsökologie. Dazu untersuchen wir den Fadenwurm Pristionchus pacifius, der im Boden und in Assoziation mit Blatthornkäfern lebt.
Wir verbinden Entwicklungsbiologie, Ökologie und Populationsgenetik in einem hochintegrativen Ansatz, um zu untersuchen, wie sich neuartige und komplexe Merkmale als Ergebnis historischer Prozesse entwickeln. Wir konzentrieren uns dabei auf die entwicklungsbedingte (phänotypische) Plastizität als Vermittler für die Evolution von Neuheiten, komplexen Merkmalen und phänotypischer Divergenz. Dazu wurde in den letzten zwei Jahrzehnten ein theoretischer Rahmen geschaffen, der die phänotypische Plastizität als Schlüsselkonzept in der Evolutionsbiologie hervorhebt (West-Eberhard 2003, Sommer 2020).
Die Bedeutung der Plastizität in der Evolutionsforschung
Um die phänotypische Plastizität und ihre Rolle in der Evolution zu verstehen, müssen die zugehörigen molekularen Mechanismen identifiziert werden. In den letzten zehn Jahren hat unser Labor das wohl detaillierteste molekulare Verständnis eines plastischen Merkmals identifiziert.
Zum einen haben wir Entwicklungsschalter (developmental switches) identifiziert, die die Umwelt wahrnehmen und die Entwicklung umprogrammieren können. Damit ist es uns gelungen seit Langem bestehende theoretische Vorhersagen zu bestätigen. Zum anderen haben wir das nachgeschaltete genregulatorische Netzwerk (GRN), das die phänotypische Ausführung der alternativen Phänotypen steuert, bestimmt.
Diese Ergebnisse zeigen zum ersten Mal, dass Plastizität tatsächlich mit der modernen Evolutionstheorie vereinbar ist. Noch wichtiger ist, dass sie einen molekularen Rahmen schaffen, um die Mechanismen der mit der Plastizität verbundenen Evolution vom i) Ursprung der Plastizität über ii) die genetische Anpassung bis hin zur iii) endgültigen Assimilation (Kanalisierung) aufzuklären. Diese drei Schritte werden die Grundlage unserer Forschung im kommenden Jahrzehnt bilden.
Pristionchus pacificus als Modellsystem
Mit Hilfe des freilebenden Fadenwurms Pristionchus pacificus als Modellsystem kombinieren wir Laborstudien zur Plastizität (Genetik, Genomik, Transgenese, experimentelle Evolution) mit Feldarbeit (Ökologie und natürliche Variation).
Darüber hinaus verbinden wir unseren Modellsystem-Ansatz mit makro-evolutionären Vergleichen, wobei wir mehr als 1.500 Stämme von Pristionchus pacificus und etwa 50 kultivierbare Pristionchus-Arten verwenden, die weltweit gesammelt wurden (www.pristionchus.org).
Unsere etablierte Feldstation auf La Réunion, einer Insel im Indischen Ozean, die die gesamte weltweite genetische Vielfalt von P. pacificus beherbergt, dient als Mikrokosmos zur Untersuchung der Entwicklungsplastizität und ihrer Rolle in der Umwelt und im Ökosystem der Nematoden.